KLEINE ZEITUNG Artikel
Montag, 28.Mai 2001 / von Michael Samec
Ein Bad, in dem die Zeit verschwimmt
Hineintauchen in die Vergangenheit: Das idyllische Flußbad in Kaindorf an
der Sulm blieb in seinen 70 Jahren nahezu unverändert.
Bei geschlossenen Augen meint man, am Ufer eines reißenden Gebirgsbaches zu stehen, so beeindruckend rauscht das Wasser. Mit offenen Augen wiederum fühlt man sich weit zurückversetzt in die Vergangenheit. Man muss schon alle seine 
Sinne beieinander haben, um hier nicht den Bezug zur Gegenwart zu verlieren. 
Und doch: Das Bad an der Steinernen Wehr gibt es hier und jetzt. Wildromantisch und naturbelassen liegt es am Rande der Sulm in der südsteirischen Gemeinde Kaindorf nahe Leibnitz. Als eines der letzten Flussbäder der Steiermark überhaupt. Ein Idyll, nicht zuletzt deswegen, weil der Wandel der letzten 70 Jahre an ihm fast spurlos vorübergezogen ist.
Auch an den Besitzern hat sich nur wenig verändert. Natürlich sind es nicht mehr 
die Landwirte von einst, die 1930 das Bad eröffnet haben. Aber ihr Sohn ist noch immer tagtäglich da, und dessen Sohn, Franz Pratter junior, auch - schließlich gehört nun ihm das 8000-Quadratmeter-Gelände.

Gerade der Stillstand der Zeit macht das Flair des Bades so außergewöhnlich und wirkungsvoll. Die hölzernen Reihen der Kabinen sind noch original und damit fast ebenso alt wie die großen, tiefen Schatten spendenden Bäume. Selbst die Eintrittspreisen muten veraltet an: Erwachsene zahlen 30, Kinder zehn Schilling, 
die Saisonkarte kostet 300 Schilling.
Die von der steinernen Wehr aufgestaute Sulm fließt gemächlich vorbei und bildet ein großes, natürliches Schwimmbecken. Erst bei den im Damm eingelassenen Wasserdurchlässen wird sie zu einem rauschenden Bach, um gleich dahinter als seichtes sanftes Bächlein weiterzufließen, in dem Kinder watend auf der Suche 
nach besonders schön geformten Steinen sind.

"Die Wasserqualität ist gut. Die prüft die Bezirkshauptmannschaft." Fast brutal holt Chef Franz Pratter, hauptberuflich bei einer Versicherung beschäftigt, Träumer wieder in die strenge Gegenwart zurück.
Gerade weil das Bad einsam und versteckt liegt, gilt es als Geheimtipp. Und doch verteilen sich an Spitzentagen bis zu 1000 Gäste auf dem weitläufigen Areal. 
Manche von ihnen schon seit 40 Jahren, einige haben sogar das ganze Jahr über Kabinen gemietet - seit eh und je dieselbe. Warum? "Schauen Sie sich um. Diese Ruhe, die Natur. Und das Wasser ist immer frisch und kühl." 
Das Unverständnis für die Frage schwingt unüberhörbar mit.

© 2001 Kleine Zeitung 

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